Nicht nur Fahrgastverbände, auch immer mehr Pendler haben Verspätungen und Störungen gründlich satt.
(Siegener Zeitung – Peter Helmes) Rothaarbahn = „Lahmbahn“? Die Probleme auf der Schienenstrecke zwischen Siegen und Bad Berleburg ebben nicht ab. Im Gegenteil: Der Frust wächst von Verspätung zu Verspätung. Die SZ hörte sich in den vergangenen Wochen unter Fahrgästen um und unternahm selber stichprobenartig Fahrten mit der Hessischen Landesbahn (HLB) zu den Hauptandrangszeiten morgens und nachmittags. Um es vorweg zu nehmen: Die Erkenntnisse sind ernüchternd.
Schon der erste Versuch förderte Fitness und Bluthochdruck. 25 Minuten Verspätung in Richtung Siegen animierten zu einem morgendlichen Spaziergang vom Bahnhof Dahlbruch zum Bedarfshalt in Kredenbach. Vorteil neben der körperlichen Ertüchtigung: eine Ersparnis von 1,30 Euro. Obgleich beide Haltepunkte rein geografisch auf Kreuztaler Areal liegen, kostet die Einzelfahrt – egal ob pünktlich oder nicht – vom Bahnhof Dahlbruch 5,10 Euro, von Kredenbach hingegen nur 3,80 Euro.
Die Ursachen für Verzögerungen mögen mannigfaltig sein. Zweifellos spielen auch infrastrukturelle Belange eine Rolle. Doch selbst Kleinigkeiten können einen reibungslosen Ablauf beeinträchtigen. Beispielsweise wenn sich eine Zugtür nicht öffnen lässt. Folge eines solchen Defekts: Sämtliche Fahrgäste müssen sich durch die andere Tür hinein und hinaus begeben. So etwas kostet Nerven und Zeit.
Am Samstagvormittag wollte ein Fellinghausener in Lützel zu einer Wandergruppe stoßen. Der Versuch, von Kreuztal mit der Bahn dorthin zu gelangen, scheiterte. Zwar hatte der Nahverkehr estfalen- Lippe (NWL) im Januar den Stundentakt der RB 93 sogar an Sonn- und Feiertagen und somit durchgängig an allen sieben Wochentagen propagiert, doch zumindest am letzten Wochenende schien das nicht völlig reibungslos zu funktionieren. Technische Probleme, erfuhr der Wanderfreund lapidar, hätten zum Ausfall des betreffenden Zuges geführt. Eine weitere Stunde ausharren mochte er nicht. Schön, dass es in solch einer Situation Menschen gibt, die einen mit dem Auto abholen.
Am Montagmorgen warteten Bahnkunden eine halbe Stunde auf die Abfahrt Richtung Siegen. Dem Vernehmen nach sprang in Erndtebrück der Triebwagen erst nach einer Weile an. Von einer „täglichen Wundertüte“ sprach eine junge Pendlerin aus der Edergemeinde. Wundertüte auch deswegen, weil es durchaus Tage gebe, an denen die Fahrzeiten den Fahrplänen entsprächen.
Dennoch: Nicht nur auf der Anzeigetafel in der Schalterhalle des Siegener Hauptbahnhofs ist die Notiz fast schon obligatorisch: RB 93 ca. soundsoviel Minuten Verspätung – wobei „ca.“ mitunter für noch mehr Minuten als angegeben steht. Wen wundert es da, dass sich ein älterer Herr mit augenscheinlichen Gehbeschwerden am Montagnachmittag lautstark beschwerte, dass er zum wiederholten Male den Bus verpasse. Die Erwiderung des Zugbegleiters wirkte eher hilflos denn hilfreich: dass sich bereits in Betzdorf die Abfahrt verschoben habe und überhaupt die Adresse für Beschwerden der Zweckverband sei. Überpünktlich vollzog sich derweil die Ticket-Kontrolle.
Günter Padt als Geschäftsführer eben jenes Zweckverbands Personennahverkehr Westfalen-Süd (ZWS) hatte die HLB erst unlängst vor Kritik aus den Reihen von Fahrgastverbänden in Schutz genommen und in Sachen Zuverlässigkeit spürbare Verbesserungen in jüngerer Vergangenheit ausgemacht (die SZ berichtete). Mag sogar sein, dass zeitweilig tatsächlich bei einer Toleranz von fünf Minuten eine Pünktlichkeit von 91 Prozent erreicht worden ist.
Fünf Minuten können allerdings vollauf genügen, um eine Anschlussverbindung zu verpassen, die Stechuhr zu spät zu drücken oder den Unterrichtsbeginn zu versäumen. Oder – wie regelmäßig in Dahlbruch zu erleben – dem letzten leeren Bus nach Müsen hinterher zu blicken. Der fährt nämlich manchmal los, wenn die Eisenbahn bereits im Rückspiegel zu erkennen ist, und kehrt kurz darauf – abermals meist ohne „Passagiere“ – aus dem alten Bergmannsdorf zurück Richtung Feierabend. Wenn der Bus nicht auf den Zug warte, könnten sich die VWS diesen Schlenker von vornherein sparen, wetterte eine Mutter, die – des „Lotteriespiels“ überdrüssig – ihren Sohn nunmehr selber abholt. Eine Beschwerde bei den Verkehrsbetrieben habe bislang nicht gefruchtet. Diesbezüglich kann bisweilen der Eindruck entstehen, als funktioniere auch die Verzahnung bzw. das Zusammenspiel zwischen den jeweiligen Verkehrsträgern nicht immer hundertprozentig nach Wunsch.
Wenige Wochen ist es her, dass eine kleine Gruppe aus dem Raum Hilchenbach nach Kufstein aufbrach. Um nicht Gefahr zu laufen, um 6 Uhr morgens den Anschluss nach Frankfurt zu verpassen und den gesamten ausgedruckten Reiseverlauf inklusive Sitzplatz-Reservierung zu gefährden, ging sie von vornherein auf Nummer sicher und absolvierte die erste Etappe nach Siegen im Auto. Vertrauen in die Verlässlichkeit öffentlicher Verkehrsmittel klingt anders. Die „Reststrecke“ bis an den Inn und ebenso die Rücktour legten die Urlauber übrigens pünktlich wie die Eisenbahn zurück.
Einige Pendler haben Konsequenzen gezogen und sind wieder auf Pkw umgestiegen. Ungern, wie zu hören war. Denn Bahnfahrer fahren eigentlich ganz gerne Bahn – auch die Schienenfahrzeuge auf der Rothaarbahn-Route sind nach wie vor über weite Strecken gut gefüllt. Wer weiß: Vielleicht wäre dies auch auf der Strecke zwischen Weidenau und dem Johannland der Fall, hätte man diesen Abschnitt seinerzeit reaktiviert anstatt endgültig gekappt…
Fazit: Nicht nur Fahrgastverbände, sondern auch ganz „normale“ Bahnreisende haben Verspätungen, Störungen und Schönfärbereien gründlich satt. Natürlich stellen subjektive Eindrücke Einzelner keine objektive, allumfassende Bestandsaufnahme dar. Gleichwohl verdienen sie Beachtung, fügen sie sich doch wie kleine Puzzle-Teilchen ins Gesamtbild ein.
„Wir müssen“, räumte selbst ZWS-Geschäftsführer Günter Padt im Februar ein, „Lösungen entwickeln mit dem Ziel, auf einer Basis von maximal drei Minuten Verspätung eine Pünktlichkeit von über 90 Prozent zustande zu bringen.“ Sein Wort in Pendlers Ohren.